Oberdrackenstein:
In den letzten Kriegstagen war es mit der Ruhe in Drackenstein vorbei.
So als wolle man die gesamte Albhochfläche in eine einzige Festung verwandeln,
wurde die zusammengezogenen Soldaten damit auf Trab gehalten, Bäume auf Albaufstiegswegen zu fällen
um amerikanische Panzer am Vormarsch zu hindern. Schützegräben wurden auch an der alten Steige,
die von Unterdrackenstein nach
Oberdrackenstein führt, ausgehoben;
das war eigentlich auch unser
täglicher steiler Schulweg.
Jetzt schufteten dort gefangene Franzosen und Polen mit Schaufel und Hacke. Man begann Löcher mit
Preßluftbohrern in die dünnsten Stellen der Viaduktbogen der gegenüberliegenden
Reichsautobahn zu bohren und Sprengstoff hineinzustopfen, den man mit Zündschnüren versah.
Eines der schönsten Teilstücke der Autobahn von
München über Ulm-Stuttgart, das dort den Albabstieg mit der
herrlichen Brücke verbindet,
wurde am nächsten Tag in die Luft gesprengt.
Schwere Munitionswagen beladen mit Panzerfäusten, Maschinengewehren,
dicken Granaten und Sprengstoff, standen getarnt unter Bäumen im Wald um Drackenstein.
Hinter der Scheune von Schweizers Hof machten sich etwa 20 deutsche Soldaten mit Gewehrputzen zu schaffen,
es wurde eine einem Rosenkranz ähnliche Kette mit einem
daran hängenden Öllappen durch den Gewehrlauf gezogen.
Ich
hüpfte zwischen den Soldaten herum und sie redeten mit mir. Einige Soldaten lachten, scherzten und rauchten,
andre waren ganz still. Ein älterer Soldat rief mich zu ihm hin.
Er saß auf dem Grasboden, zog mich ganz an sich, sagte,
ich sähe aus wie sein Sohn und weinte. Das Kommando über
dieses letzte zusammengewürfelte Aufgebot in und
um Drackenstein hatte ein Oberstleutnant, der mit meiner
Mutter ein Verhältnis hatte, was wir Kinder aber nie bemerkt hatten. Dieser Offizier war es auch, der vor
Kriegsende eine letzte flammende Rede vor seinen Soldaten auf der
Wiese hinter dem Hof der Familie Bosch, des Dorfwagners, hielt.
Er hielt die Soldaten an durchzuhalten, alles zu geben, auch das eigenen Leben, um die Amerikaner zu stoppen.
Gleichzeitig hörte man in der Ferne schon Kanonendonner und feindliche
Jagdflugzeuge flogen ohne Widerstand über die Gemarkungen
und Dörfer und schossen auf alles, was sich bewegte.
Dieser fanatische Nazi war es
auch, der zwei Tage vor Kriegsende noch ein Standgericht befehligte,
um einen jungen Russen erschießen zu lassen, der angeblich die Bäuerin belästigt hatte, bei der er arbeitete.
Mein Schulfreund und ich haben hinter einer Hecke verborgen gesehen,
wie der arme Mensch in der Nähe des Schießhäuschens sein
eigenes Grab schaufeln musste und erschossen wurde.
Schnell wurde sein Körper mit Erde bedeckt, das Erschießungskommando mit dem Offizier
sprang in den Kübelwagen und fuhr rasch davon.
Wir Buben überwanden unsere Angst und liefen zu dem Grab,
aus dem die Hände des Toten herausschauten. Wir rannten ins Dorf, um zu erzählen, was wir gesehen hatten.
Die deutschen Soldaten waren aus dem Dorf verschwunden und noch am selben
Abend wurde der Tote vom Pfarrer und seinen Helfern ausgegraben und auf dem Friedhof beerdigt.
Am nächsten Morgen wurde meiner Mutter mitgeteilt, dass der Oberstleutnant im Kampf gefallen sei.
Tatsache war, dass er hinterrücks von seinen Soldaten erschossen worden
war und diese sich Zivilkleidung besorgt hatten, um der Gegangenschaft zu entgehen.
Niemand hat später etwas von
den Verteidigern Drackensteins gehört.
Wieder aufgebaute Brücke, der A8 bei Drackenstein. Foto
März 2010 MH
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